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Auch ohne Wecker bin ich um Viertel vor sieben Uhr wach. Eine Stunde lang Aus­ruhen im Bett gönne ich mir noch. Dann mache ich mich stadtfein. Auf den Niesel­regen könnte ich verzichten. Zum Frühstück im Hotel habe ich keine Lust. Ich mag nicht wie jemand von einem anderen Stern angesehen werden. Doch schon bald auf dem Weg zurück in die Stadt wartet ein Café mit einem guten Frühstücksangebot.

Den zweiten Kaffee des Tages gönne ich mir erst kurz vor der Brücke über den Grenzfluss nach Frankreich. Es wird wohl mein letzter Café con leche in Spanien in diesem Jahr sein. Dann bin ich bereit, die Frage der weiteren Rückfahrt wieder zu­zulassen. Wie auch gestern ist der Foto­apparat im Rucksack verstaut. Das bedeutet anderthalb Kilo mehr auf dem Rücken. Aber schon seit vorgestern zählen ja die Schritte nicht mehr wirklich und so ist auch das Gewicht des Rucksacks nicht mehr wichtig. Viertel vor elf habe ich die Auskunft, wann ich morgen nach Köln fahren kann. Ein Ticket kann man mir wegen des Streiks nicht verkaufen.
Ich finde ein ak­zeptables Hotel in Bahnhofsnähe. Da ich das Zimmer erst um 13:00 Uhr beziehen kann, ist noch Zeit für einen weiteren Café au lait. Meinen Rucksack konn­te ich schon im Hotel abstellen, ich fühle mich fast einsam ohne ihn. Habe ich mir gestern die Frage gestellt, ob ich je wieder pilgern werde, so stelle ich mir heu­te die Frage, ob ich dann auch wieder einen Fotoapparat mitnehme sollte, und wenn ja, welchen. Ich rufe mich zur Ordnung. Erst einmal überhaupt zu Hause ankommen!

Ich war auf dieser Pilgerfahrt erfreulich oft im Augenblick, beim Zwitschern der Vögel, dem Summen der Insekten, dem Rauschen der Blätter im Wind und dem To­ben der vom Wind aufgepeitschten See. Nur selten hatte ich nachmittags Befürch­tungen, kein Quartier zu bekommen. Oft bin ich bis abends 20:00 Uhr gelaufen. Und auch, wenn ich jetzt meine Entscheidung hin­terfrage, nicht das Flugzeug ge­nommen zu haben, habe ich doch die Ruhe, die Konsequenz meiner Entscheidung hier in den beiden kleinen Städtchen Irun und Hendaye auszuhalten. Es hat sein Gutes, hier die Unruhe aus den Füßen herauszubekommen, besser, als zu Hause Katharina damit zu nerven. Denn gestern Abend wollten die Füße sich noch unbe­dingt bewegen und haben die Augen für alle Hinweisschilder auf Hotels am Wegesrand verschlossen. Mein Stepcounter hat es mir heute morgen verraten. 6,5 Kilometer waren es gestern vom Bahnhof bis zu meinem Luxushotel und die durfte ich heute Morgen wie­der zurücklaufen.

Bei meinem Stadtrundgang durch Hendaye finde ich kurz hinter dem Hotel de Ville eine geöffnete Kirche. Hier kann ich noch einmal eine Kerze anzünden und mich eine Weile in die Bank setzen. Dann habe ich Zeit und Muße, mir ein Restaurant für das Mittagessen auszusuchen. Die Bedienung spricht rasend schnel­les Französisch. Sie belehrt mich, dass ich in Frankreich angekommen bin, als ich spanische Brocken einfließen lasse. Oder sollte ich sagen, ich bin im Baskenland und da wird Spanisch nicht gern gehört. Ich gebe zu, Probleme zu haben, mich auf Französisch umzustellen, und nur langsam und holprig kom­men mir meine franzö­sischen Brocken über die Lippen.

Nach dem Mittagsschlaf geht es noch einmal auf in die Stadtmitte und ein zweiter Besuch in der Kirche darf auch nicht fehlen. Eini­ge meiner mühsam abgelaufen Kalorien fülle ich in einer wunderbaren Patisserie auf. Alles wird stilvoll im Silberkännchen serviert.

Da ich viel Zeit habe, gehe ich noch einmal zum Bahnhof und probiere, einen Fahrschein am Automaten zu zie­hen. Einige Züge sind ausgebucht, und als ich schließlich eine Verbindung habe, will der Automat die PIN meiner Kreditkarte nicht. Die habe ich seit Jahren nicht gebraucht, sie mag eine alte PIN der letzten Karte sein. In meinem tiefsten Innern fange ich an, meine Entscheidung für die Bahnfahrt zu verfluchen. Irgendwann in ferner Zukunft werde ich verstehen, warum sie richtig war, heute Abend bezweifele ich das.

Zum kurzzeitigen Aus­gleich kommt jetzt erst einmal die Sonne heraus. Da sieht die Welt doch schon ganz anders aus! Und ist nicht die wichtigste spanische Vokabel, die ich gelernt habe, „mañana“? Könnte das Universum der Meinung sein, mir ein paar Ruhe­tage am Ende des Caminos einschieben zu sollen, da ich wäh­renddessen keine eingelegt habe? Sollte das Universum mir beibringen wollen, das Internet auf meinen Caminos zuzulassen? Oder will es mir nur sagen: „Lerne end­lich Spa­nisch und Französisch!“ Denn dann hätte ich das mit dem Streik wohl schon im Vorfeld mitbekommen.

Bei einem weiteren Mineralwasser kommt mir der ge­niale Gedanke, es beim Fahrscheinautomaten einmal mit meiner EC-Karte zu probieren. Siehe da, es klappt. Ich bin nun im Besitz einer Fahrkarte bis Köln. Für diese gelungene Aktion belohne ich mich in einem noblen Fischrestaurant, denn ich bin ja hier am Meer. Das Menü ist so gut, wie das Ambiente des Hau­ses es hoffen lässt. Ich merke aber deutlich, dass ich heute viel zu viel geges­sen und mich auch noch viel zu wenig bewegt habe. Dass man auch in der Stadt Kilometer machen kann, zeigt mein Stepcounter: 25.498 Schritte.

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