Heute Morgen fällt das Aufstehen richtig schwer. Wir hoffen auf ein gutes Frühstück mit viel Kaffee. Und dann möge James bitte die gesattelten Pferde vorführen. Nach dem Frühstück bestellen wir ein Taxi bis Etalans. Wir werden den Weg dort fortsetzen, wo wir ihn gestern verlassen haben. Zwischenzeitlich wissen wir auch, dass wir in Valdahon genächtigt haben. Leicht finden wir die ersten Wegpunkte des Führers im Wettrennen zwischen iPhone und Herumfragen. Nach einigen Kilometern dann stehen wir auf einer Wiese und kommen mit Markierung und Wegbeschreibung nicht klar. Also zurück zum letzten Wegpunkt in der Beschreibung. Beim erneuten Anlauf klappt es. Wir haben nur eine Schleife von einem Kilometer auf der Wiese gemacht. Im nächsten Ort ist die Auberge leider noch geschlossen. Ein Kaffee wäre jetzt richtig schön. So machen wir Picknick auf der Terrasse ohne Kaffee. Das Restaurant im nächsten Ort ist abgebrannt, aber es gibt einen Tante-Emma-Laden, in dem wir uns eindecken und auf dessen Treppenstufen wir schon wieder Pause machen. Michelle ist heute den ganzen Zucker, den sie über die letzten Tage bei unseren Kaffee-Stopps gesammelt hat, an Esel, Pferde und Kühe losgeworden. Sie liebt es, mit den Tieren zu sprechen. In mir hat sie nur selten einen Gesprächspartner, denn ich bin in diesen Tagen recht wortkarg. Meist gehen wir auf großem Abstand, was ein Gespräch sowieso unmöglich macht. Dann stimmt die Realität mit der Wegbeschreibung wieder nicht überein. Ich gehe zurück, zweiter Anlauf. Noch ein Versuch in den Wald mit dem iPhone. Als mitten im Wald eine Gabelung kommt und das iPhone nicht mehr weiß, wo wir sind, geben wir auf und gehen zurück zum letzten Haus, wo eine Runde beim Kaffeetrinken sitzt. Wir werden hereingebeten und es wird eine gute Karte der Gegend hervorgezaubert. Zu allem Glück kommt der Herr aus Bayern und wechselt spielend zwischen Französisch, Deutsch und Englisch. Er versichert mir, dass man diese Karte in jedem Laden kaufen könne. Nun, hier ist gerade kein Laden! Es gelingt mir, dem Herrn die Karte abzukaufen mit dem Hinweis, dass es für ihn leichter ist, eine neue Karte zu kaufen, als für mich. Offensichtlich ein überzeugendes Argument. Uns wird erklärt, dass hier die Wege letztes Jahr neu angelegt und die Wegführung verändert wurde. Kein Wunder, dass wir nicht zurechtgekommen sind. Jetzt gehen wir zwar einen etwas längeren Weg, wissen aber immer, wo wir sind. Das sind die elf Euro für die Karte wert. Gegen 14:00 Uhr ist dann auch noch ein Restaurant geöffnet und wir bekommen zur Stärkung unseren Kaffee. Mit der Karte in der Hand ist der weitere Weg einfach. Es geht immer an einer kleinen Straße entlang. Die eine oder andere Übernachtungsmöglichkeit lockt, doch wir wollen unser Tagesziel Ouhans erreichen und morgen einen kurzen Tag haben. In Ouhans dann die Überraschung für diesen Tag: Alle Rollläden im Restaurant und Hotel sind heruntergelassen – Ruhetag? Vor dem Eingang dann ein großes Schild: „Zu verkaufen". Ein Blick in den Führer verrät, dass die nächste Übernachtungsmöglichkeit erst 4,5 Kilometer weiter liegt. Also fragen wir erst einmal herum und werden zu einer kleinen Gîte auf Spendenbasis gewiesen. Wir bekommen Brot, Wein und Schokolade geschenkt. Im Käseladen, dem einzigen Geschäft im Ort, bekommen wir sehr leckeren Käse und Joghurt. Heute werden wir wohl sehr früh zu Bett kommen. Kurz vor acht geht in der ganzen Gîte schlagartig das Licht aus. Gut, dass wir unsere Taschenlampen immer am Mann haben und ich mir gemerkt habe, wo der Herr wohnt, der uns in das Haus eingelassen hat. Mein Französisch reicht aus, um das Problem zu schildern. Immer mehr Dorfbewohner beteiligen sich an der Fehlersuche. Es ist diese Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft, die das Pilgern immer wieder zu einer einzigen Freude macht. Nach kaum einer halben Stunde haben wir wieder Licht.
Aus den im Führer angegebenen 29 Kilometern haben wir locker 32 Kilometer gemacht. 46.200 Schritte sind wir dabei Rom näher gekommen und vor allem ein großes Stück der Antwort auf die Frage, warum wir uns immer wieder aufmachen und pilgern. Wir sitzen in meinem Zimmerchen, schlürfen etwas von dem geschenkten Wein und lassen diese Pilgerfahrt an uns vorbeiziehen. Wir beobachten uns gegenseitig genau, lassen aber den anderen so sein, wie es für ihn gut ist. Bei Gelegenheiten wie dieser tauschen wir uns dann wohlwollend über unsere doch ganz unterschiedlichen Wesen aus. Es sind nur noch ein paar Tage auf dieser Pilgerfahrt. Werden wir sie gemeinsam fortsetzen oder sind das die letzten gemeinsamen Tage in unserem Leben? Die Glocken der Kirche schlagen 21:00 Uhr, jetzt ist „bed time". Heute um 15:52 Uhr ist mein Fotoapparat aus seinem Urlaub zurückgekehrt.