Der Tag beginnt mit französischem Tütenrascheln. Und so kommen wir recht früh aus den Federn. Als die Franzosen sich auf den Weg machen, sitzen Otmar, Helmut und ich noch am Frühstückstisch. Die Wäsche ist fast trocken. Das Wetter könnte heute feucht werden. Der Wetterbericht für gestern könnte für heute passen. Der Weg führt wieder bergan und bergab, er ist oft recht matschig, doch insgesamt einfach zu gehen. Die beiden Südtiroler haben mich adoptiert und warten von Zeit zu Zeit auf mich, weil ich auch heute bergauf deutlich langsamer bin als die beiden. So nebenbei erzählt mir Otmar, dass er beim Alpenverein Wegewart ist und als Bergführer Touren begleitet. Er kennt alle Pflanzen und Vögel und teilt sein Wissen mit mir. Seine pädagogische Ader kommt durch, denn er wiederholt geduldig: „Schau mal, Hermann, schon wieder eine Orchidee.“ So vergeht die Zeit im Fluge. In einem kleinen Dorf machen wir unser Picknick auf den Bänken des Dorfplatzes. Die Kinder einer Schule haben gerade Pause und spielen Ball. Wenn er zu uns herüberfliegt, kicken wir ihn zurück und freuen uns über die Abwechslung.
Nur wenige andere Pilger treffen wir. Ein junges Pärchen hat nicht mehr genug Wasser und klingelt an einem Haus. Es bekommt die Flasche gefüllt und den Weg erklärt. Sich zu trauen einfach zu fragen, wenn man ein Bedürfnis hat, ist je eine der Lehren, die ich auf meinen Caminos bisher gelernt habe. Doch wie oft vergesse ich das. In meiner beruflichen Zeit hat man mir das auch schon probiert beizubringen. Damals hieß das: „Keine Angst vorm Nein“.
Heute Morgen haben wir ein Zelt mitten auf einer Wiese unter einem blühenden Baum gesehen. Die beiden jungen Pilger hatten sicherlich eine sehr geruhsame Nacht.
In Gernika angekommen, versuchen wir uns zu orientieren. Ein Mann ruft uns aus seinem Fenster auf der anderen Straßenseite die Wegbeschreibung zur Herberge zu. Alle Spanier, oder soll ich sagen Basken, denen wir begegnet sind, waren freundlich und hilfsbereit. So auch die Hospitalera in der Herberge. Ihr ist es ein Anliegen, möglichst viele Worte in allen auf dem Camino vertretenen Sprachen zu lernen. Nur siebenmal üben wir das Wort „Fahrstuhl“, denn diese Herberge verfügt über einen solchen. Wir teilen unser Zimmer mit einem Japaner. Die Tagesbilanz sind 26,5 Kilometer. Wir sind dem Pilgerführer von Cordula Rabe einen Tag voraus. Zu unserem Gesundheitsstand ist zu bemerken, dass Helmuts kleine Zehen leicht angeschlagen sind und sich bei mir das Nagelbett des rechten großen Zehs meldet. Otmar hat einen Ratscher an der Schulter vom Ast eines umgestürzten Baumes. Wir durchstöbern unsere Medizinbeutel und verarzten uns sorgfältig. Die Füße sollen uns noch einige hundert Kilometer weit tragen.
Zelt unter einen Baum auf einer großen Wiese
Karte meines vierten Pilgertages auf dem Camino del Norte von Markina-Xemein, Casa Rural Intxauspe nach Gernika, Gernika Lumo Hostel